Serie vun Artikelen vum Här Dr. Robert Thill-Heusbourg zum Thema Euthanasie: „Die Aufgabe der palliativen Kultur und die neue Gesellschaftsordnung“

Die Aufgabe der palliativen Kultur und die neue Gesellschaftsordnung

 Eine Anwort nicht nur auf Henri Etienne

 Dr. Robert Thill-Heusbourg

Facharzt für Neurologie

Diplom für Psychotherapeutische Medizin

  

1.Euthanasie ist das falsche Wort.

 Euthanasie heisst bewusstes Töten eines Menschen mit den Unterscheidungen freiwillig, nicht freiwillig und unfreiwillig. Die Depenalisierung des Tötens , das Aufgeben des „Tötungsverbots“ zerstört ein Fundament unserer Gesellschaftsordnung. Das Wort Euthanasie dient dazu, den wahren Sachverhalt zu beschönigen bzw zu verschleiern.

Es gibt keinen „guten Tod“ und das gute Sterben ist noch seltener als das gute Leben.

Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation ist die Palliativmedizin „die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung in der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, andere Krankheitsbeschwerden, psychologische, soziale und spirituelle Probleme höchste Priorität besitzt.“

Erstaunlich und paradox ist, dass gerade diejenigen, die sich bisher für die Entwicklung von ganzheitlichen, nachhaltigen und technik-kritischen Konzepten in der Gesellschaft und in der Medizin eingesetzt haben, die von Gewaltfreiheit und von der Welt als einem bewohnbaren Haus gesprochen haben, jetzt gegen all diese Grundsätze verstossen und eine Lösung vorschlagen, die vom Lösungskonzept her aus der Steinzeit kommt und auf eine sehr komplexe Frage eine sehr einfältige und technische Antwort gibt. Töten haben die Menschen immer schon gekonnt, aber die Antworten der Palliativ-Medizin stellen den eigentlichen Paradigmen-Wechsel dar.

 

2. Moralischer und legaler Missbrauch sind vor-programmiert

Es ist der Anfang vom Ende der Solidargemeinschaft; das , was heute ein Recht ist, wird in den Köpfen vieler Menschen bald zur Pflicht. Anstatt die Schwächsten unserer Gesellschaft am stärksten zu schützen, werden hier Schwellen bewusst erniedrigt und alte, kranke und behinderte Mitbürger sind dem Druck ihres sozialen Umfeldes ungeschützt ausgesetzt. Es darf nie soweit kommen, dass jemand sich rechtfertigen muss, weil er auf Unterstützung und Pflege angewiesen ist.

Dieses Gesetz wird in unserer Gesellschaft der gut Funktionierenden und der knappen Ressourcen unsere Auffassung von Leiden, Behinderung und chronischer Krankheit radikal zum Nachteil der Betroffenen ändern.

Man nehme nur das Beispiel von Mme Debaine in Frankreich, die vor kurzem ihre erwachsene behinderte Tochter in der Badewanne ertränkt hat und vor Gericht jetzt freigesprochen wurde. Eine Frau Liliana Miranda hat hierzu im Editorial der Tageszeitung „Le Quotidien“ vom 11.4.2008 einen selten unverantwortlichen und gefährlichen Artikel geschrieben, in dem sie die Tat dieser Mutter als verständlich und nachvollziehbar beschreibt und Unverständnis dafür äussert, dass in unserer Geselllschaft Gerichte sich anmassten, sich mit solchen Fällen zu befassen(…)Diese junge schwer behinderte Frau hatte eben gerade das nicht bekommen, was ihr eigentlich zustand: ein Platz in einem professionellen Pflege-Zentrum, wo sie rund um die Uhr von Menschen betreut wird, die dieser Aufgabe und Belastung gewachsen und entsprechend ausgebildet sind. Allein zuhause war ihre Mutter natürlich mit der Betreuung überfordert und dann kommt es , so wie auch hier in Luxemburg, öfters zu einer chronischen schlechten Betreuung, die manchmal sogar einer chronischen Misshandlung entspricht, welche nur durch institutionelle Betreuungsstrukturen vor dem Hintergrund einer funktionierenden Pflege-Gesetzgebung beendigt werden kann. Eltern und Familienangehörige sind leider nicht immer die besten Betreuer.

Und Frau Miranda schreibt dann neben anderen Ungeheuerlichkeiten :„Ce qui est réellement  dérangeant, c‘est que la justice se mette à jouer un rôle qui ne devrait pas lui incomber. Celui de trancher à la tête du client dans ce genre d‘affaires, pourtant si délicates“.

Was soll denn bitte sonst die Aufgabe der Justiz sein, wenn Eltern ihre Kinder töten?

In einem solchen Fall nach Euthanasie zu rufen, ist ja eben dann gerade das, was wir unter der „pente glissante“ verstehen. Anstatt dass wir jedem das geben , was er braucht und worauf er ein Anrecht hat, wird der behinderte oder kranke Mensch auf eine menschliche „Minimal-Version“ reduziert („handicapée à 90 %“, auch wenn das medizinisch gesehen Unsinn ist), man spricht von „légumes“, und dann lässt man das Töten nicht nur zu, sondern fordert es geradezu heraus und somit hat die Gesellschaft sich auch das Nachdenken über Defizite der Betreuungsstrukturen erspart.

 

3. Töten ist keine Aufgabe der Medizin

Dieses Gesetz ändert nicht nur unsere Auffassung über die Ausübung von Medizin , sondern auch unsere Auffassung, wie wir mit chronischer Krankheit umgehen.

Es geht vor allem darum, Gebrechlichkeit und Leiden in eine umfassende Sicht des Menschseins zu integrieren. Hilfsbedürftigkeit widerspricht nicht der Würde des Menschen, sondern gehört zum Wesen des Menschseins, weil es zu seiner Endlichkeit gehört.

Es ist die Aufgabe des Arztes,das Leben zu schützen, Krankheiten vorzubeugen, Leiden zu lindern und manchmal auch zu heilen, und im übrigen immer zu begleiten und zu trösten.

Es kann nie Aufgabe eines Arztes sein, seinen Patienten zu töten. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist darauf begründet, dass der Arzt ihn nicht allein lassen wird und dass er ihn auch bis in den Tod hinein begleiten wird und sterben lässt, wenn es soweit ist. Die moderne Medizin verfügt heute über alle Mittel, dieses Sterben so zu gestalten, dass dies mit einem Minimum an körperlichen oder psychischen Schmerzen verbunden ist. Der Gesetzesvorschlag zur Euthanasie ist nicht nur gefährlich, sondern einfach überflüssig.

Es ist zu befürchten, dass mit einer gesetzlichen Freigabe Ärzte und Pflegekräfte gedrängt werden, auch ökonomischen Interessen nachzugeben. Die Tötung auf Verlangen widerspricht dem Berufsethos und würde das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten, Ärzten und Pflegekräften nachhaltig beinträchtigen.

Euthanasie heisst, den Sterbenden isolieren und töten: der verordnete Tod (Euthanasie: isoler et faire mourir : la mort donnée.)

Palliativ heisst, den Sterbenden begleiten und sterben lassen: der angenommene Tod. (Palliatif: accompagner et laisser mourir : la mort acceptée.)

4. Die medizinische Beihilfe zur Selbsttötung ist in Wirklichkeit eine medizinische Aufforderung zur Selbsttötung und hat nichts mehr mit Medizin zu tun. (le suicide médicalement assisté équivaut à un suicide médicalement provoqué)

Für den gläubigen Menschen bedeutet Gnade letztendlich, dass es niemals zu spät ist in der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, eine in der Psychiatrie grundlegende Botschaft, die auch nicht-transzendent gedeutet werden kann in dem Sinn, dass es niemals zu spät für einen Neu-Anfang ist.

Im Film des polnischen Regisseurs Kieslowski über das 5.Gebot, wo im Vorraum der Todeszelle der Anwalt des kurz vor der Hinrichtung stehenden jugendlichen Mörders dem ungeduldigen Gefängnisdirektor über Telefon immer wieder ausrichten lässt, dass er noch nicht mit seinem letzten Gespräch fertig sei und ihm dann zum Schluss einfach entgegen schreit: „Ich werde hier niemals sagen, dass ich fertig bin“, stellt dies die zentrale nicht-religiöse Aussage in einer atheistischen Welt dar.

Als Nervenarzt habe ich diese Gesinnung des „es ist niemals zu spät“ jedem Patienten gegenüber auszustrahlen und wenn ich einmal nicht mehr dazu fähig bin, gebietet mir mein Standesethos, den Patienten an einen anderen Arzt zu verweisen, der diese Hoffnung noch glaubwürdig leben kann, denn diese ist die Grundlage jeder Therapie.

Wenn man in der Psychiatrie Hemm-Schwellen abbaut, bedeutet dies eine Aufforderung zum Suizid, und diese ist strafbar.

Als Nervenarzt bin ich dazu ausgebildet worden und stehe ich auch täglich in der Notaufnahme der neurologischen und psychiatrischen Poliklinik vor der Aufgabe, Menschen mit Wahrnehmungsstörungen unterschiedlicher Genese davon zu überzeugen, dass ihre subjektiv empfundene Wertlosigkeit (Selbst-Entwertung) nicht als Ausgangspunkt für selbst-destruktive Tendenzen genommen werden soll, sondern dass ich mich mit diesem Menschen auf den Weg mache, Orientierung an einer höheren Auffassung von Wert und Würde zu suchen. (cf Transzendenz-Idee des Individuums)

Das heisst, dass ich schon berufsmässig dazu aufgefordert bin, Selbst-Enwertungen im allgemeinen und als Handlungsgrundlage im besonderen in Frage zu stellen; nur ein erfahrener Arzt für Neurologie und Psychiatrie kann die Einschränkung der Kritikfähigkeit eines Patienten richtig einschätzen.

Madame Marie de Hennezel, Berichterstatterin für die französische Regierung zur Bestandsaufnahme der Palliativmedizin in Frankreich („La France palliative“), schreibt, dass der Mensch oft am Ende seines Lebens sein Selbstbild („image de soi“) verliert und dass dieser Verlust nur von den anderen Menschen korrigiert werden kann. Dieser Auftrag ist jedem von uns in der Begegnung mit kranken und sterbenden Menschen gegeben.

Jacques Lacan, der grosse französische Psycho-Analytiker schreibt in einem allgemeineren Zusammenhang : „c’est le regard de l’autre qui me constitue“.

Leben in Würde kann somit zur Gemeinschaftsaufgabe werden, und einen suizidgefährdeten Menschen auf seinem Weg der Selbstabwertung und Selbsttötung nicht liebe- und respektvoll in Frage zu stellen, bedeutet eigentlich, ihm ein Menschenrecht zu versagen.

Es handelt sich also um eine « non-assistance à personne en danger ».

In der Psychiatrie und Psychotherapie lernen wir, wie mit suizidgefährdeten und suizid-willigen Patienten umzugehen ist, wir erlernen Techniken der kognitiven und emotionalen Restrukturation, um Einfluss zu nehmen auf  Eigen-Dynamik entwickelnde negative Gedanken-Spiralen.

Wenn ein Arzt bei einem akut suizidgefährdeten-oder suizidwilligen Patienten es verabsäumt, einen Psychiater zu Rate zu ziehen oder die Unterbringung des Patienten in einer psychiatrischen Anstalt zu beantragen, kann er wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden.

Der Auftrag, mit akut suizidgefährdeten oder suizid-willigen Menschen umzugehen, ist zurecht in die alleinige Fachkompetenz eines psychotherapeutisch ausgebildeten Nervenarztes gegeben worden.

Der Auftrag, eine durch psychische oder geistige Störungen verursachten Einschränkung der Willens-und Entscheidungsfähigkeit rechtlich qualifiziert und gültig zu beurteilen, ist sowohl im Zivil-als auch im Strafrecht zurecht in die alleinige Kompetenz eines Nervenarztes gegeben worden.

Und jetzt soll dann nach den Bestimmungen des Gesetzesvorschlages « pour le droit de mourir en dignité » eine « medizinisch ausweglose Situation », die mit « unerträglichem und anhaltenden psychischen Leiden » und « ohne Aussicht auf Besserung » einhergeht, sogar im Hinblick auf den unwiderruflichen Tötungsakt von einem jedem Arzt und unabhängig von seiner fachlichen Qualifikation gültig beurteilt werden können ?

5. Autonomie, Freiheit und Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen enden dort, wo Autonomie, Freiheit und Selbstbestimmungsrecht des Anderen beginnen.

Martin Buber schreibt: “Zwang und Unterwerfung widersprechen der menschlichen Würde; Freiheit ist ein Steg, aber kein Wohnraum.“

Freiheit und Autonomie sind also keine Werte an sich, sondern erhalten ihren Wert erst durch die Gestaltung des Freiraumes, den sie ermöglichen.

In seinem Artikel « Plaidoyer contre une dépénalisation de l’euthanasie » schreibt Norbert Campagna : » Il convient ici de faire une distinction entre ce qui est intrinsèquement indigne et ce qui est perçu comme indigne. Si une société décente se doit de reconnaître à chacun un droit absolu au respect de sa dignité intrinsèque –humaine – elle ne doit pas à chacun la reconnaissance d’un droit absolu au respect de sa dignité perçue. On pourra certes discuter sur la question de la délimitation, mais il est néanmoins déjà important de faire la distinction. Aucun impératif d’ordre public ne justifie une atteinte à la dignité personnelle, mais des impératifs d’ordre public (la protection des plus faibles) peuvent justifier une relativisation du respect de la dignité individuelle. Ne pas distinguer la personne ou le sujet transcendental de l’individu empirique est l’une des plus graves maladies culturelles de notre temps. »

Und an anderer Stelle : »Les droits de l’individu ne sont pas tout, et il faut, même parmi les droits, établir une hiérarchie qui, pour être établie, doit se référer à autre chose que les droits. »

Wenn wir Schwellen abbauen, welche Schwächere schützten, dann sind eben die Freiheitsrechte dieser Menschen massiv in Frage gestellt und die Begriffe der „Autonomie“ und der „Freiheit“ werden hier nur als „trompe l‘œil“ gebraucht.

Es kann dabei sowohl einen Konflikt zwischen Selbstbestimmungsrecht und Fürsorgeverpflichtung einerseits als auch einen Konflikt zwischen Individualwohl und Gemeinschaftswohl andererseits geben, die in der Bewertung jedes Einzelfalls berücksichtigt werden müssen.

Aus einer Stellungnahme der Bürgerinitiative „action pour la vie et contre l’euthanasie“:

„Der Gesetzesvorschlag beruht auf einem Rechtsverständnis, das in beunruhigender Weise symptomatisch ist für die tiefen Risse in unserem sozialen Netz. Es stellt aus extrem liberaler Sicht die sogenannte Entscheidungsfreiheit des einzelnen vor die Sozialverträglichkeit und die Nachhaltigkeit. Hat unser Rechtssystem bald nur mehr zum Ziel, einen Rahmen möglicher „Optionen“ bereitzustellen, oder behält es die Funktion, den Schwächeren Schutz zu gewähren – namentlich denen, die durch die Euthanasie in Zugzwang geraten, die Vereinsamten, die in schwierigen Beziehungsverhältnissen lebenden? Zudem verkennt der Gesetzesvorschlag, dass aus pflege-und medizinethischer Sicht die Anerkennung der Autonomie des Patienten zwar eine wesentliche und überaus notwendige Rolle spielt aber auch andere Prinzipien   (Nichtschaden, Gerechtigkeit, Wohlergehen) als ebenbürtige normative Grundlagen herangezogen werden sollten.“

Vor allem auf hochbetagte und/oder pflegebedürftige Menschen wächst durch die Freigabe der Euthanasie der gesellschaftliche Druck, sich selbst den Tod zu wünschen.In Deutschland wurde dafür 1998 der Ausdruck „Sozialverträgliches Frühableben“ als „Unwort des Jahres“ definiert. Durch das gesetzliche Verbot der Tötung auf Verlangen werden Menschen vor diesem Druck geschützt. Niemand muss sich für sein Angewiesensein auf Pflege und Unterstützung rechtfertigen.

Emmanuelle Cinquir spricht davon, dass es in Bezug auf die Gemeinschaft erst die Gebote und Gelübde seien, welche Freiheit ermöglichten.(„Les vœux sont là pour la liberté »)

Erst in der bewussten Entscheidung zur Respektierung von Grenzen wird es möglich, dass sich unsere Handlungs-und Wahl-Möglichkeiten nicht im Beliebigen verzetteln, sondern im Zentrum unseres Anliegens verdichten und dann vervielfältigen, so wie  im Konzept der Palliativ-Medizin erst das Respektieren des Tötungsverbots das Freisetzen von anderen schöpferischen Kräften ermöglicht.

In “accompagner et laisser mourir” beschreibt Marie de Hennezel diese Einstellung als den eigentlichen Paradigmen-Wechsel.

« Nous avons été confrontés à ces situations limites devant lesquelles on s’incline humblement. Nous avons éprouvé alors le sentiment qu’il peut être plus humain d’accéder au voeu de mourir de celui ou de celle qui n’en peut plus. Oui, cela nous est arrivé. Mais nous ne pouvions pas pour autant donner délibérément la mort à nos patients. Pas seulement parce que ce n’était pas légal. Parce que notre mission était d’être le plus créatif possible pour trouver des solutions aux situations les pires. Nous pratiquions alors le „laisser mourir“ bien avant qu’il ne soit institué par la loi Leonetti. Nous endormions la personne, grâce à une sédation contrôlée, et nous encouragions les proches à l’accompagner dans une veille pleine de douceur. «

6. Emotionen ersetzen nicht die Analyse

Und Meinungen ersetzen keine Argumente. Das Gewissen ist die letzte Norm, aber nicht die höchste. Ein Gewissen muss gebildet werden und eine Meinung ist nur soviel wert, wie sie sich auf korrekte Information und Reflexion stützen kann. Sehr viele Menschen, die sich in dieser Debatte zu Wort melden, haben nur wenig Ahnung von der Problematik und dazu gehören leider auch viele politische Entscheidungsträger. Die wenigsten haben Erfahrung in der schweren Aufgabe, kranke und sterbende Menschen zu begleiten . Auch wenn Politiker es nicht gerne hören, so sind es doch noch immer jene Ärzte, welche Tag für Tag mit dieser Aufgabe konfrontiert sind, die am besten qualifiziert sind, um in diesen Fragen gehört zu werden und Entscheidungen zu treffen.

Es ist auch klar, dass deshalb ärztlicherseits der Handlungsbedarf zuerst und vor allem in der Palliativ-Medizin und nicht im „verordneten Tod“ gesehen wird; als Berufsgruppe werden die Ärzte hier zu Handlangern von nicht-medizinischen Interessen gemacht.

7. Es geht nicht um ein Versagen der Medizin an sich

 Die beunruhigenden und schrecklichen Berichte über Erlebnisse von „unwürdigem“ Sterben, von denen so viele Menschen berichten, sind nicht auf ein Versagen der Medizin an sich zurückzuführen. Sie sind einerseits Hinweis auf die abnehmenden Fähigkeiten unserer Gesellschaft, den Umgang mit Sterben und Tod in unser Leben zu integrieren und andererseits Zeugnis von strukturellen und persönlichen Unzulänglichkeiten im Bereich von noch ungenügend in palliativ-medizinischen Konzepten ausgebildeten Aerzten, Pflegekräften und anderen Angehörigen der Heilberufe. Wir brauchen in all diesen Berufen Menschen, die zuallererst Hörende und Empfangende sind und die  sich Zeit nehmen für ein begleitendes Teilnehmen an einem gemeinsamen Weg, wo jeder –auch der Kranke selbst- Gebender und Nehmender werden kann.

In unseren Krankenhäusern, Alters-und Pflegeheimen besteht noch immer ein erschreckender Mangel an qualifiziertem Personal, welcher dem Wunsch nach Euthanasie indirekt Vorschub leistet.

8. Wir brauchen nicht nur eine palliative Medizin, sondern eine palliative Kultur.

Mir können nicht zuviel an „palliativer Kultur“ haben und deswegen sind die diesbezüglichen Aussagen von Herrn Huss und des belgischen Onkologen Dr Lossignol gegen „le tout-palliatif“ und gegen den „acharnement palliatif“, was soviel wie „palliativer Übereifer“ heissen soll, nicht nur unsachlich und polemisch, sondern auch gefährlich, denn sie zeigen uns, dass diese nicht verstanden haben, was das Wort „palliativ“ eigentlich bedeutet.

„Pallium“ bedeutet übersetzt einfach „(Schutz-)Mantel“ und palliativ bedeutet somit, dass jeder, und zwar prioritär die Schwächsten unserer Gesellschaft, am stärksten ge-und beschützt werden und das bekommen, was sie für ein „Leben in Würde“ benötigen, und dies kommt noch vor einem „Sterben in Würde“.

In die Politik übersetzt heisst das, dass wir nicht nur eine palliative Medizin, sondern darüber hinaus eine palliative Kultur entwickeln müssen, ohne die erstere weder begründet noch ausgebaut werden kann. Es ist dies eine „Leitkultur“, die sich zum Ziel setzt, dass alles gedacht und getan wird, dass gerade die Schwächsten unserer Gesellschaft an der Gemeinschaft ohne besondere Einladung oder Fremdhilfe teilnehmen können.

Und diese palliative Kultur beginnt schon bei der Höhe der Bürgersteige und bei der Länge der „Grünphasen“ bei unseren Fussgänger-Übergängen. Erstere wurden nämlich an vielen Stellen auf 3-5 cm erniedrigt, aber ohne dabei zu bedenken, dass ältere und behinderte Menschen mit ihrem Gehgestell oder Rollstuhl dort oft an diesem Hindernis scheitern, da sie nicht mehr die Kraft  zum Hochheben haben. Meine Mutter (82) hatte es vor kurzem in Luxemburg-Stadt noch einmal versucht, von ihrem Altersheim St Jean beim „Rousegärtchen“ bis zu ihrer Buchhandlung in der Bourbonstrasse zu gehen und dann stand sie auf einmal in der Avenue de la Liberté mitten auf der Fahrbahn, und die Grünphase war natürlich für Fussgänger schon beendet und sie schaffte es einfach nicht, ihr Gehgestell über dieses 5 cm hohe  gedankenlos angebrachtes und nutzloses Hindernis hinwegzuheben. Gottseidank half ihr ein Fremder, auf den Gehsteig hinaufzukommen. Nun traut sie sich nicht mehr auf die Strasse und sie fühlt sich überflüssig und für die Mitmenschen zur Last und Belastung geworden. Sie kann aus diesem Grund in der Stadt auch nicht mehr mit dem Bus fahren, da ihr sehr oft freiwillig kein Sitzplatz angeboten wird und der Bus meistens so schnell anfährt, dass sie schon zu Boden gestürzt ist, bevor sie überhaupt einen Sitzplatz erreichen könnte. Gleiches gilt für Fahrten mit dem Zug, wo niemand mehr fragt, ob einer der Passagiere Hilfe beim Ein-und Aussteigen brauche, usw.

Ich habe es immer schon gesagt, dass die Vorbereitung zum Euthanasie-Denken schon beim öffentlichen Transport beginnt.

Wenn wir es nicht schaffen, diesen schwächeren Mit-Menschen, welche nicht mehr so gut und so schnell „funktionieren“, das Gefühl zu geben, dass sie ge-und beschützt (siehe „Pallium“) werden, dann brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn sie früh- und vorzeitig bereit sind, Schluss zu machen und ihrem Leben ein Ende zu bereiten (bereiten zu lassen), sobald sie auf die Hilfe und Unterstützung anderer Menschen angewiesen sind.

9. Es handelt sich nicht um eine religiöse Frage

 Die Behauptung, dass die Gegnerschaft zur Euthanasie ja nur aus religiösen Gründen erfolge, welche somit für alle nicht religiös gebundenen Menschen ohne Belang seien, ist eine der vielen Umdeutungsversuche der Pro-Euthanasie-Bewegung, welche wir klar zurückweisen können, wie es ja aus allem bisher Gesagten schon hervorgeht. Wir müssen uns andererseits sehr bemühen, einen intelligenten und respektvollen Umgang mit unseren politischen Gegnern zu fordern und zu fördern und dies setzt zuerst einmal voraus, dass beide Seiten grundsätzlich darin übereinstimmen, das es kluge und intelligente Gläubige und kluge und intelligente Atheisten gibt. Diese Diskussion wird in Luxemburg aber derzeit von einem wenig intelligenten und wenig gebildeten atheistischen Fundamentalismus bestimmt, welcher geistig im „Kulturkampf“ des vorletzten Jahrhunderts stehen geblieben ist, wobei die meisten christlichen Kirchen sich in den letzten 150 Jahren sehr positiv und welt-und geist-offen weiterentwickelt haben. Beide Weltanschauungen, ob religiös oder atheistisch, haben eine gemeinsame Verantwortung für die friedliche Entwicklung unsererer Welt, und der geistlose Hass gegen alles Religiöse, dem wir täglich in den meisten unserer Medien begegnen, ist sicher keine Werbung für den Atheismus „made in Luxembourg“ und der arme  Sokrates würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, wofür sein Name bei uns missbraucht wird.

10.Der Rechtsstaat ist in Gefahr

Dieses Gesetz ändert zuletzt nicht nur unsere Auffassung des Rechtsstaates, sondern den Rechtsstaat selbst.

Es geht um den Entwurf einer neuen Gesellschaft und die Autoren des Gesetzesvorschlags Err/Huss haben dies auch nie zu verheimlichen versucht. Es geht in diesem Gefolge auch um die Neu-Definition von Leben, Sterben und Tod und hier beginnt auch das Problem für unseren Rechtsstaat, denn die neue Gesellschaftsordnung untergräbt wesentliche bisher tragende Elemente.

Das Prinzip, dass das Leben zu schützen sei, ist eines der Fundamente unseres Rechtsstaats. Menschen die Verfügungsgewalt über die Beendigung des Lebens anderer Menschen zuzusprechen, hat eine nicht übersehbare Tragweite und birgt die Gefahr der schleichenden Ausweitung der Tötung auf Verlangen auf andere Patienten, die nicht danach verlangen. Der Akt vollzogener Tötung auf Verlangen ist unwiderruflich und nur schwer vor Missbrauch zu schützen, wobei wie schon oben beschrieben der moralische Missbrauch oft dem legalen vorausgeht.

Oft ist die Not der Angehörigen bzw. des sozialen Umfelds größer als die (subjektive) Not der Patienten. Aus meiner Erfahrung weiss ich, dass die gezielte Unterstützung von Angehörigen auch Patienten spürbar entlasten kann.

Eines der grossen Ziele der Pro-Euthanasie-Bewegung ist das Schaffen einer neuen Gesellschaftsordnung und die Sprachregelungen des Gesetzesvorschlags Err/Huss wollen – wie in Belgien und den Niederlanden- den Boden hierfür bereiten.

Im Bereich der Anwendungsbedingungen ist es sehr problematisch, dass einerseits das Palliativgesetz von einer „phase avancée ou terminale d’une affection grave et incurable“ und andererseits der Gesetzesvorschlag Err/Huss „sur le droit de mourir en dignité“ von einer „situation médicale sans issue“ plus „souffrance physique ou psychique constante et insupportable sans perspective d’amélioration“ spricht. Beide Definitionen treffen eben auch auf Menschen zu, die nicht am Sterben sind, wie Mme Sébire, Hugo Claus, die Tochter von Mme Debaine und viele andere, welche noch Jahre vor sich hatten und nicht ein paar Tage oder Wochen.

Wenn die Technik der terminalen oder palliativen Sedierung auf diese Menschen angewandt wird, entspricht dies wirklich unserer (und nicht nur christlicher) Definition nach einem Mord und sie unterscheidet sich nur technisch, aber nicht moralisch von der Euthanasie und bleibt somit auch weiterhin strafgesetzlich als solcher zu ahnden.

Wir kannten bisher auf unseren Intensivstationen und auch im hausärztlich versorgten Bereich dieses Problem nicht, weil die palliative oder terminale Sedierung sich auf Menschen beschränkt hat, deren Lebenserwartung nicht in Monaten oder Jahren, sondern in Tagen oder Wochen zu zählen war.In diesen Fällen herrscht Übereinstimmung, dass jene Sedierung,welche auf dem Weg zur Symptom-Kontrolle nötig war und dabei den ¨schnelleren“  Tod als Nebenwirkung billigend in Kauf genommen hat, qualitativ nicht als Mord einzustufen war, da nicht nur das Ziel ein anderes, nämlich die Linderung von Schmerzen war, sondern da auch die Definition des Sterbenden nicht umstritten war.

Diese palliative oder terminale Sedierung wird aber dann unausweichlich zum Mord, wenn sie bei Menschen wie Madame Sébire, der Tochter von Mme Debaine oder Hugo Claus angewendet wird, da hier die Gesellschaft (und die Medizin) bisher nicht davon ausgegangen sind, dass der Sterbeprozess schon begonnen habe. Die Anwendungsbedingungen des Euthanasie-Gesetzesvorschlags werden zum Beispiel natürlich auch öfters auf einen schwer depressiven Menschen zutreffen, aber hier ist es ja Gott sei Dank noch den meisten von uns klar (nicht so in den Niederlanden und in Belgien), dass dieser weder euthanasiert noch palliativ/terminal sediert werden solle, denn beides wäre Mord, beziehungsweise im Fall einer Beihilfe zum Suizid schlicht und einfach „non-assistance à personne en danger“.

Das wichtigste Problem besteht in diesem Zusammenhang darin, dass die Autoren des Gesetzesvorschlags Err/Huss unter der Fahne von Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung das Recht auf Sterben schlechthin, und damit ein neues Gesellschaftsmodell einführen wollen, wo der Sterbeprozess paradoxerweise und parallel zum Lebens-und Altersprozess schon bei der Empfängnis beginnt und jeder –gewissermassen als Freiheitsoption- für sich selbst oder auch für andere, denen wir das Selbstbestimmungsrecht noch nicht oder nicht mehr zusprechen, bestimmen kann, wann bei ihm das Sterben begonnen hat.

Bei Hugo Claus eben schon viele Jahre vor seinem natürlichen Ende, bei der behinderten Tochter von Mme Debaine, welche von ihrer Mutter in der Badewanne ertränkt wurde, wären es Jahrzehnte gewesen und bei Mme Sébire eben noch Jahre usw. Das klingt dann so, wie Mme Liliana Miranda es implizit in ihrem unsäglichen Editorial im „Quotidien“ vom 11. April 2008 geschrieben hat, dass das Sterben eben auch dann beginnen kann, wenn ich für mich selbst oder (wie im Fall Debaine) für einen anderen entscheide, das solches Leben ja eigentlich kein richtiges Leben mehr sei. Es ist das zweifelhafte Verdienst von Mme Miranda, zum ersten Mal ganz klar geschrieben zu haben, worum es hier geht und sie lieferte in der Luxemburger Euthanasie-Diskussion das erste Beispiel dafür , wie schnell mit diesem Euthanasie –Gesetzesvorschlag die „pente glissante“ vom moralischen Missbrauch direkt zum legalen Missbrauch führen kann.

Somit irrt der Text von Henri Etienne auch hier. Das Palliativgesetz ist für unseren Rechtsstaat keine Gefahr, denn es stellt -im Gegensatz zum Euthanasie-Gesetzesvorschlag- nicht das Strafgesetz in Frage, sondern ist diesem (zurecht) ohne vorhergehende Abänderungen in allen Anwendungsbereichen unterworfen.

Die eigentlich neue Wahl-Möglichkeit, welche Mme Err und Herr Huss uns geben wollen, ist die zu einer neuen Definition von Sterben, von Autonomie und Freiheit. Es geht bei ihnen eben nicht nur um den „droit de mourir dans la dignité“, sondern um den „droit de mourir“ an sich: Die Definitionen in ihrem Gesetzesvorschlag sind deshalb bewusst ganz subjektiv gehalten, denn es soll ja in Zukunft nur das betroffene Subjekt selbst bestimmen können, wann der Zeitpunkt gekommen ist, und dies entspricht dann eben nach ihrer Definition allein dem Begriff der „Würde“: „pas de dignité sans le droit de mourir“.

 

Luxemburger Wort

17.5.2008

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