Serie vun Artikelen vum Här Dr. Robert Thill-Heusbourg zum Thema Euthanasie: „Die Grenze als Ort der Erkenntnis – über die moderne Euthanasie der Vernunft“

An denen nächsten Deeg publizéieren ech op dësem Blog eng Rei vun Artikelen vum Här Dr. Robert Thill-Heusbourg zum Thema Euthanasie. Och wann dat Gesetz leider virun e puer Joeren gestëmmt gouf, sou bleift et awer onmoralesch. D’Euthanasie ass lo legal, mä si gëtt ni legitim. Als Politiker den sech a sengem politeschen Denken un grondleeënden Aussoen vum kathoulesche Glawen orientéiert, ass et meng Flicht weider géint d’Euthanasie a géint d’Ofdreiwung anzetrieden och wann déi Gesetzer scho gestëmmt sinn.  An enger éichter Phas geet et drëm dë Mënschen déi moralesch Froen virzestellen an ze erklären déi mat dësen zwee Doudesgesetzer verbonne sinn, an der Hoffnung, dat si och kënnen dovun iwwerzeegt ginn fir Widderstand ze leeschten. Laangfristeg politescht Zil muss et natierlech sinn fir déi Gesetzer enges Daags nes kënnen ofzeschafen.

Den Här Dr. Robert Thill-Heusbourg ass Neurolog a Psychotherapeut am Hôpital Saint-Louis zu Ettelbréck. Hien ass en unerkannte Spezialist an dëse Froen. Hei ass seng Biographie: http://www.thill-heusbourg.lu/test/wordpress/?page_id=104

„Die Grenze als Ort der Erkenntnis

 Über die moderne Euthanasie der Vernunft

 von Dr. Robert Thill-Heusbourg*

 

In Bezug auf die bald bevorstehenden zweiten parlamentarischen Abstimmungen zu Palliativmedizin-und Euthanasie-Gesetz erinnert mich die jetzige politische Situation in Luxemburg an eine Kurzgeschichte von Bert Brecht „Wenn Herr K. einen Menschen liebte“ : „Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, daß er ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“ (1)

 

In wenigen Wochen wird unser Parlament also aller Wahrscheinlichkeit nach einem Gesetzesentwurf zur Euthanasie und Beihilfe zur Selbstötung Gesetzeskraft verleihen, der die moralischen und philosophischen Grundstimmungen unserer Gesellschaft radikal ändern wird im Sinne der erwähnten Kurzgeschichte von Brecht. Die Philosophie des Gesetzes nimmt hier nicht Mass am Menschen, sondern der Mensch muss Mass nehmen an der Philosophie des Gesetzes und ihrer Vordenker.

 

Wenn dieses schlechte Gesetz mit seinen schlechten Anwendungsmöglichkeiten gestimmt wird, so haben wir das im Rahmen der demokratischen Beschlussfassung zwar zu respektieren, müssen es aber nicht gut heissen. Wir müssen im Gegenteil alles daran setzen, dass möglichst viele Menschen noch besser über die Möglichkeiten der Palliativmedizin informiert werden, denn nur sie gibt eine (medizinische) Anwort auf allgemein menschliche und medizinische Fragen am Ende des Lebens.

 

Wir müssen auch mehr dafür arbeiten, dass die Irrwege im Denken und Handeln bezüglich der Tötung von Mitmenschen und der Beihilfe zur Selbsttötung, welche der Formulierung dieser Gesetzestexte vorausgegangen sind und in diesen Texten konkret Gestalt angenommen haben, von immer mehr Menschen als solche erkannt und folglich dann auch nicht mehr benutzt werden.

Wenn unser „moderner“ Staat jetzt auf Antrag einer sogenannten „grünen“ (hier stand einmal die Idee einer nachhaltigen, nicht utilitaristischen Enwicklung unserer Gesellschaft am Ursprung der Bewegung) und einer sogenannten „sozialistischen“ (hier stand einmal die Idee eines solidarischen Gemeinwesens am Ursprung der Bewegung) Partei erneut eine Lizenz zum Töten vergeben will und dafür im Sinne einer  Verschleierung den weissen Mantel der Medizin missbraucht, damit möglichst vielen Menschen möglichst wenige Gedanken und Bedenken kommen, dann sollten wir fortgesetzt Einspruch erheben.

Wir erheben Einspruch dagegen, dass die Pallativmedizin auch von dieser Regierungskoalition in Geiselhaft genommen wurde und dass das Gesetz zur Palliativmedizin noch immer nur in – sachlich und philosophisch nicht gerechtfertigter – Verbindung mit dem Euthanasiegesetz diskutiert und legislativ abgehandelt werden soll. Die Zeit, die hier vertan wurde, steht in diesen Monaten in einem direkten Zusammenhang mit nicht respektierter Lebenszeit von ganz konkreten  Patienten am Lebensende, denen wir für die ihnen verbliebene Zeit ein Mehr an Lebensqualität aus niedrigen Motiven schuldig geblieben sind.

Wir erheben Einspruch dagegen, dass die Medizin im Euthanasiegesetz dafür  missbraucht wird, um nicht-medizinische und ideologische Inhalte in die Medizin und in unsere Gesellschaft einzuführen. Euthanasie ist ein medizin-fremder Gedanke, der von der grossen Mehrheit der Ärzte abgelehnt wird und der die Therapieoptionen nicht bereichert, sondern  entscheidend beschneidet.

Wenn diese Gesellschaft erneut eine Lizenz zum Töten vergeben will (die Todesstrafe wurde ja bei uns gerade auf besonderes Betreiben von „grünen“ und „sozialistischen“ Politikern geächtet, die christlich-soziale Partei hat in der Zwischenzeit wenigstens aus ihrer einst unkritischen Haltung der Todesstrafe gegenüber gelernt) dann sollte diese Gesellschaft auch – in Analogie zur Praxis der paramedizinischen Tötungspraxis im Rahmen des US-amerikanischen Todesstrafenvollzugs – den neuen Beruf des para-medizinischen Tötungstechnikers einführen, denn hierfür braucht man keine lange und teure Ausbildung.

Die Vereinigungen der US-amerikanischen Ärzte und Krankenpfleger haben sich vor Jahren schon offiziell dagegen entschieden, dass ihre Mitglieder an der Exekution durch die Gift-Spritze (Vorgangsweise und Rezept entsprechen im übrigen auch der in unseren Nachbarländern gängigen und in unserem Land geplanten Euthanasie-Praxis) teilnehmen, da sie – aus gutem Grund – befürchten, dass die Teilnahme und Mitwirkung  von Ärzten und Krankenpflegern an der Todesstrafe ihre gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen könnte, da man ja bislang davon ausgehen konnte, dass alle ärztlich geplanten, durchgeführten oder auch nur begleiteten Handlungen  als ethisch und moralisch besonders reflektiert gelten konnten, der Arzt sozusagen einem moralischen Gütesiegel entsprach. Diese Qualitätsbescheinigung durch eine pseudo-medizinische Inszenierung sollte der Todestrafe laut diesen Berufsvereinigungen nicht zugute kommen.(2,3)

Und gleiches gilt natürlich für die pseudo-medinische Inszenierung der Euthanasie und der Beihilfe zur Selbsttötung. Alle Politiker und alle Bürger, welche dieses Gesetz befürworten, sollten den Mut haben, zu sagen, dass es hier um das Recht auf einen schnellen Tod bzw. vor allem auf ein schnelles Getötet-Werden geht und dieses ist keine Aufgabe der Medizin. Das Recht auf einen „guten Tod“ ist ein primäres Menschenrecht und wird am besten im Rahmen der Palliativmedizin berücksichtigt und verwirklicht. Wo Ärzte und Krankenpfleger aus Unwissenheit oder Fahrlässigkeit der Verwirklichung dieses Menschenrechts auf einen „guten Tod“ entgegenstehen, sollten wir diese benennen und besser ausbilden. Die vielen, die auch heute noch schlecht und unbegleitet sterben, sterben so nicht          w e g e n  ungenügender medizinischen Möglichkeiten sondern  t r o t z   genügender medizinischen Möglichkeiten.

Viel zu oft sind leider auch Ärzte und Krankenpfleger auch allgemein menschlich nicht ausreichend ausgebildet, vorbereitet und willens, dem Sterbenden einen „guten“ und begleiteten Tod zu ermöglichen und mitzugestalten. Aber gleiches gilt für die Familienangehörigen der Patienten. Alle auch durch geduldiges Zuhören und Reden unbeeinflussbaren Euthanasiewünsche, die mir in meiner nun zwanzigjährigen Berufstätigkeit angetragen wurden, stammten ausnahmslos von überforderten und ungeduldigen Familienangehörigen, die den Anblick und das Begleiten „ihres“ Sterbenden nicht ertragen konnten und wollten, sogar wenn dieser in kurzer Zeit und ohne Schmerzen wohl begleitet von einem palliativ eingestellen multidisziplinären Team seine letzten Tage verbrachte.

Wenn der Sterbende seine bisherigen Funktionen für die Zurückbleibenden augenscheinlich und unwiederbringlich eingebüsst hatte, so sollte auch seine Existenz beendet werden, und zwar am besten „sofort“, wie viele sich erschreckenderweise ausdrückten. Die Unfähigkeit einerseits, sich  qualifiziert und nicht nur oberflächlich mit dem eigenen Leben und Sterben auseinanderzusetzen und ideologisch auf „fit, gesund, schön und funktionierend“ fixierte Lebensdefinitionen andererseits spielen hier unheilvoll zusammen.

Wie wir aus allen Umfragen unter Politikern und Bürgern wissen, hält sich eine Mehrheit  in Sachen Pallativmedizin für hinreichend informiert, um die Notwendigkeit und Tragweite dieses Euthanasiegesetzes beurteilen zu können. Wenn wir aber die konkreten Antworten auf medizinische Fragen in diversen Strassenbefragungen, öffentlichen und privaten Diskussionen und in politischen Stellungnahmen genauer analysieren, dann staunen wir über das Ausmass an fehlendem Sachwissen einerseits  und an nur sehr schwach ausgebildeter Selbstkritik andererseits bei der grossen Mehrheit der Euthanasie-Befürworter. Der Anfang November ausgestrahlte Beitrag von Nordliicht-TV zu diesem Thema illustrierte auf erschreckende Art und Weise Verantwortungsdefizite gepaart mit Ahnungslosigkeit auch bei sogenannten Entscheidungsträgern.

Mit dem neuen Euthanasie-Gesetz erhalten die Ärzte ein Mehr an Verantwortung und an Macht, mit dem umzugehen sie weder medizinisch noch menschlich ausgebildet sind, sodass dies nicht nur eine grosse Belastung und Gefahr für sie selbst, sondern auch für ihre Patienten und die ganze Gesellschaft darstellt. In einer grossen wissenschaftlichen Studie hat der Münchner Professor für Palliativ-Medizin G. Borasio 2004 die Ergebnisse einer Befragung unter neurologischen Chefärzten in Deutschland vorgestellt. 32% waren der Meinung, dass es illegal sei, Schmerzmittel in Dosierungen zu geben, die das Risiko der Atemdepression mit möglicher Todesfolge beinhalten. 45 % bezeichneten auch die medizinisch indizierte  Behandlung der terminalen Atemnot mit Morphin als Euthanasie (Tötung auf Verlangen). 60 % waren beunruhigt über die Möglichkeit, wegen  des Abbruchs lebenserhaltender Massnahmen einer kriminellen Handlung angeklagt zu werden und 47 %  bezeichneten ihre eigene Ausbildung für die Begleitung in der Terminalphase als „mässig bis schlecht“.(4)

 

Es stellt sich hier die nicht sarkastisch gemeinte Frage, ob die Gesellschaft im Rahmen der nun anstehenden Euthanasie-Planungen die für die Sterbebegleitung nachweislich ungenügend ausgebildeten Ärzte noch einer Sonderausbildung im Töten unterziehen sollte oder ob gerade diese schlechte Ausbildung nicht die beste Voraussetzung für die Durchführung der Euthanasie darstellt. Die Gefahr, dass sich auch schlecht ausgebildete Ärzte weniger Fragen stellen als sie sollten, ist gross und unterscheidet sich nur in den möglichen Konsequenzen, nicht aber im Grundsätzlichen von der Situation anderer Berufsgruppen.

 

Derzeit schaut es aber so aus, dass auch eine optimal ausgestaltete und ausgestattete Pallativmedizin die Befürworter der Euthanasie nicht umstimmen könnte, denn es geht ihnen um das Recht, den schnellen Tod zu geben und deswegen reden Ärzte und Euthanasiebefürworter so oft aneinander vorbei. In der Medizin am Lebensende begleiten wir und lassen sterben und das ist kein Weg der schnellen Schritte und des „Machens“. Hier beginnt ein geduldiges Miteinander in gegenseitiger Aufmerksamkeit.

 

Auch die vor kurzem veröffentlichte letzte grosse Allensbach-Umfrage (5) zu diesem Thema in Deutschland unterschied sich in ihrer demagogischen Fragestellung nicht von den hier in Luxemburg durchgeführten. Mit Fragen im Stil von „Wollen Sie, dass Menschen, die vor ihrem Tod schreckliche Schmerzen erleiden müssen, durch eine Spritze zum Sterben geholfen werden kann?“ erschafft man sich die vorher gewünschte Zustimmung. Dass die  Möglichkeiten der Palliativmedizin hier nicht einmal mehr erwähnt werden, zeigt nur, dass es sich im Kopf der Fragesteller eigentlich schon nicht mehr um einen medizinischen, sondern nur mehr um einen ideologischen Zusammenhang handelt.

 

Es geht der Mehrzahl unserer Politiker und Euthanasie-Befürworter leider  nicht um Palliativmedizin  o d e r   Euthanasie, wie wir (allzu) lange geglaubt haben, sondern um Palliativmedizin  u n d   Euthanasie, wobei letztere auf den Schienen der Palliativmedizin in unserer Gesellschaft an Boden gewinnen will, als zwei philosophisch und technisch völlig voneinander getrennte „Optionen“, wie ein jeder seinen Lebensweg „frei und würdig“ beeenden könne. Diese Worte deshalb hier noch in Anführungszeichen, da ein wirklich autonomer Mensch die Gestaltung seines Todes eigentlich ohne die Abhängigkeit von der Bestätigung eines Ärztekollegiums planen könnte.

Die Diskussionen der letzten Monate und insbesonders die letzten Änderungsanträge der Gesetzesvorschlagsautoren Err/Huss haben klar gezeigt, dass eine Trennung  im sachlichen und sprachlichen Bereich  notwendig sein wird. Wir haben irrtümlich geglaubt, dass wir nur bessere Ärzte werden müssten um die Menschen besser im Sterben  begleiten zu können und somit den Wunsch nach Euthanasie überflüssig zu machen. Wir haben (vergeblich) versucht, den Befürwortern der Euthanasie die Abläufe im medizinischen Qualitätsmanagement nahezubringen, um sie davon zu überzeugen, dass erst eine korrekte Evaluierung der jetzigen Sterbekultur die Voraussetzungen und Grundlagen schaffen könnte, mit denen man die Euthanasie-Diskussion im richtigen Rahmen führen könnte.

 

Paul Tillich hat gesagt, dass die Grenze der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis sei.(6) Wir haben durch diese Grenzüberschreitungen etwas Wichtiges  gelernt, aber wir haben einfach aneinander vorbei geredet. Wenn wir auch  zuletzt über die irreführende und manipulierende Fragestellung der Allensbacher Umfrage empört waren und uns fragten, wieso denn auch diese Fragesteller das (korrekte) Junktim mit der Palliativmedizin unterliessen, so zeigte es diese letzte Erhebung ganz klar, dass dieses Junktim gar nicht vergessen oder gar unterschlagen wurde, sondern für die Fragesteller im jetzigen gesellschaftspolitischen Kontext einfach nicht mehr gegeben war.

Es geht also nicht darum, dass die Gesellschaft und unser Parlament zu entscheiden haben, ob sie Palliativmedizin  o d e r  Euthanasie wollen, denn das wäre ja eine rein medizinische Frage, bei der die gut ausgebildeten Ärzte wissen, dass erstere die zweite medizinisch überflüssig macht. Da die Gesellschaft und unser Parlament aber eigentlich aus nicht-medizinischen Gründen entschieden haben, dass sie Palliativmedizin  u n d   Euthanasie wollen, ist es klar, dass sie die Argumente der Palliativmedizin nicht mehr erreichen können, da die Argumentationsebenen eben nicht mehr die gleichen sind. Die Euthanasie sollte so als Fortsetzung der Palliativmedizin  mit anderen Mitteln gelten. Aber wenn die Frage keine medizinische mehr ist, wieso sollten sich dann überhaupt die Mediziner an ihrer Beantwortung beteiligen?

Der französische Philosoph André Glucksmann zitierte vor kurzem in einem Grundsatzartikel, („Typhons Schreckgespenst, Töte deinen Nächsten wie dich selbst“) der auch im Rheinischen Merkur erschienen ist (hier fungiert unser Premierminister sogar als Mit-Herausgeber…), Papst Johannes Paul II mit dem bekannten Satz: „Der Nihilismus ist, ehe er noch im Gegensatz zu den Ansprüchen und Inhalten des Wortes Gottes steht, Verneinung der Humanität des Menschen und seiner Identität“ (Fides et ratio) Heute erwachse die Gefahr aus einer Vernunft, die sich für schwach hält und auf ein Begreifen der Wirklichkeiten verzichte. Letzlich sündige die Vernunft nicht mehr aus Überheblichkeit, sondern aus selbstmörderischer Entsagung und säe unter den Postmodernen einen Haß gegen das Denken aus. Diese moderne Euthanasie der Vernunft könne dem Glauben keinerlei Nutzen bringen, wie Benedikt XVI. ausdrücklich betont. Sie öffne im Gegenteil dem herrschenden Nihilismus Tor und Tür, da sie es nicht mehr wage, das Falsche als falsch und das Böse als böse zu brandmarken. Die Geschmäcker seien eben von Natur aus verschieden, so laute ihr Credo und sie frage auch nicht mehr nach den wesentlichen Tabus der Kulturen. Eine Vernunft, die es sich versage auszusagen, versage es sich auch anzuklagen und kapituliere vor der Willkür. Der Nihilismus verkünde nicht nur die Relativität der Güter und Werte, sondern, noch radikaler, die Relativität des Bösen, indem er sich bemühe, das Böse unsichtbar, unsagbar und undenkbar zu machen. Soweit André Glucksmann und die letzten Päpste. (7)

Es geht nun ja nicht nur darum, dass man ein persönliches Recht in Anspruch nehmen wolle, Todeszeitpunkt und zu einem gewissen Teil auch Todesart selbst auszuwählen und zu bestimmen, dieses Recht besitzt ja eigentlich schon jeder von uns.Es geht darum, dass der Einzelne das Recht haben will, getötet zu werden, wenn er des Lebens müde ist und dass die Gesellschaft über den Weg von Gesetzen und Verordnungen für die Organisation und Abwicklung dieses Vorgangs durch „Spezialisten“ Verantwortung übernimmt.

Das Ende der medizinischen Bemühungen um ein menschenwürdiges Sterben findet aber statt im Rahmen der ambulanten und stationären  Palliativmedizin, und dies hat nichts mit dem bösen Wort des „acharnement palliatif“ (8) zu tun, wie es von dem belgischen Euthanasie-Befürworter Dr Lossignol des Institut Bordet immer wieder gern, zuletzt auch hier in Luxemburg, gebraucht wird. Es ist deshalb auch gar nicht erstaunlich, wie eine hochentwickelte Tötungskultur wie in den Niederlanden oder Belgien parallel zu einer hochentwickelten Palliativmedizin entstehen kann. Beide haben nämlich nichts miteinander zu tun; erstere hat mit Ideologie zu tun, letztere nur mit Medizin.

Euthanasie ist eine Pseudo-Antwort auf eine vermeintlich medizinische Frage, die so nie von der Medizin gestellt wurde. Die weltanschaulichen Fragen aber mitten im Leben, zum Zeitpunkt eines nur subjektiv so empfundenen Ende des „würdevollen“ Lebens oder am auch im medizinischen Konsens so definierten Ende des Lebens bedürfen einer anderen Antwort der Gesellschaft, die sich allerdings dann nicht aus falsch verstandener Scham oder mit Bedacht unter dem weissen Mantel der Medizin verstecken darf, nur damit die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht wird und die wahre Absicht  verschleiert wird.

Ein weiteres aktuelles  Beispiel für die ideologische Willkür der Euthanasie -Befürworter ist die  versuchte Umwidmung des Allerseelentags zum „Welttag für das Recht auf einen würdigen Tod“ durch die französische „Association pour le droit de mourir en dignité“. Wie es Jean Leonetti  im La Croix-Interview  kürzlich so treffend kommentierte, müsste es hier richtigerweise ganz schlicht heissen, „Welttag der Euthanasie-Befürworter“, denn die Würde gehöre allen Menschen und niemand habe das Recht, sie für seine Zwecke zu instrumentalisieren.

« L’Association pour le droit de mourir dans la dignité (ADMD) présente l’euthanasie comme un acte de courage et de liberté mais ce n’est pas ce que je vois dans les demandes de mort et de suicide assisté que je rencontre. Dans ces demandes, on n’est pas dans le registre du courage, mais de la détresse de personnes malades. Ce ne sont pas non plus des situations de liberté: ceux qui demandent à mourir le font parce qu’ils souffrent énormément ou se sentent abandonnés.

Autrement dit, ils ont le « choix » entre une impasse de vie et la fuite dans la mort: ce n’est pas ce que j’appelle la liberté. La liberté, c’est celle de pouvoir changer d’avis, alors que l’euthanasie, elle, est irréversible. Un chiffre est révélateur à cet égard: les trois quarts des personnes qui font une tentative de suicide et sont sauvées ne récidivent pas. Avec cette initiative et ces revendications, on se trouve donc face à un leurre, mais, pour bien le comprendre, il faut distinguer deux cas de figure.

Les demandes de mort peuvent survenir soit en phase terminale d’une maladie, lorsque le patient n’a plus que quelques jours ou quelques semaines à vivre, soit en cas de maladie grave et incurable mais sans que la mort soit imminente, comme pour Chantal Sébire. Dans le premier cas, la loi du 22 avril 2005 répond à quasiment toutes les situations.

Si la personne souffre, on peut augmenter les doses de médicaments, même si cela a pour effet secondaire d’abréger sa vie. On peut aussi l’endormir à l’aide de sédatifs ou arrêter un traitement maintenant artificiellement sa vie s’il le demande. La loi dit aussi que, dans ces circonstances, la qualité de la vie prime sur sa durée.

En résumé, la légalisation de l’euthanasie est ici inutile. Toutefois, dans un souci de pédagogie – le texte de 2005 étant mal connu et mal appliqué aujourd’hui -, on pourrait proposer une modification du code de déontologie médicale, afin de bien préciser ce qu’est un traitement d’accompagnement, comme la sédation. L’arrêt de traitements n’est en aucun cas l’arrêt de soins.

Qu’en est-il dans le deuxième cas de figure, lorsque la mort n’est pas imminente ?

On se trouve alors dans la situation où la personne revendique le droit de mourir en disant : « C’est mon choix, ma liberté, je veux mourir, aidez-moi à le faire. » Dans cette hypothèse, la personne peut se suicider, c’est un « droit liberté », mais pas un « droit créance » vis-à-vis de la société. En d’autres termes, la société n’a pas à assumer ce geste pour elle. Chantal Sébire s’est suicidée, c’était son choix personnel respectable, mais la société n’avait pas à l’ériger en loi.

Vouloir contrôler la vie et la mort est une erreur, largement développée dans l’opinion. Là encore, l’affaire Sébire est révélatrice: d’un côté, on avait la simplicité de l’émotion et de l’image de la douleur; en face un raisonnement qui accepte la complexité d’une situation particulière. Mais l’image est plus forte que la pensée.

Pourtant, je suis assez confiant. Deux grands mouvements traversent actuellement notre société: d’une part, une demande individuelle de plus en plus forte, où la revendication de chacun est vécue comme un droit; de l’autre une quête de sens: sens de la vie, de la solidarité, du lien. Il ne faut pas sous-estimer ce second mouvement, très profond. J’ajoute que l’euthanasie pouvait en effet apparaître comme légitime lorsqu’il n’y avait pas de réponse à des souffrances atroces.

Cette attitude pouvait paraître moderne, mais avec le développement des soins palliatifs, on n’en est plus là. Le « prendre soin » est la véritable attitude de modernité. Il est faux de dire, comme le fait l’ADMD, que les deux systèmes peuvent coexister. Ils sont en réalité incompatibles parce qu’ils renvoient à des valeurs radicalement différentes. En légalisant l’euthanasie, on se place sur le terrain de la certitude, de l’individu, de la rupture; avec les soins palliatifs, on est sur celui du doute, du collectif, du lien. La société ne peut porter ces deux conceptions fondamentales en même temps en son sein. » (9)

Die Fragen Euthanasie und medizinische Hilfe zur Selbsttötung einerseits und Palliativmedizin andererseits haben nur insofern miteinander zu tun als dass das Erleben und die Wahrnehmung von menschlichem Leid den gemeinsamen Ausgangspunkt bilden; dann trennen sich ihre Wege und sie können sich auch niemals ergänzen, denn ihre Grundauffassungen vom Umgang und von der Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben widersprechen sich und schliessen sich gegenseitig aus. Es ist einer der grössten Fehler der verantwortlichen Politiker dieses Landes, diese beiden Gesetzestexte zeitlich und inhaltlich miteinander verbunden zu haben.

Dass der belgische Euthanasie-und (!) Palliativ-Mediziner Dr. Lossignol sich in einem kürzlich erschienen Artikel stolz  und erfreut darüber äussert, dass neben der Beschreibung der Kunst des Heilens nun auch die der Kunst des guten Tötens Eingang in den Codex der Berufspflichten der belgischen Ärzte gefunden hat (10), ist eigentlich nur ein weiteres trauriges Beispiel dafür, wie der ärztliche Berufsstand, der über Jahrtausende als Garant für Solidarität und Fürsorge beispielgebend war, nun im 21. Jahrhundert im Namen der Ideologie und des Zeitgeistes seine eigene Identität preisgibt und damit den allgemeinen Werteverfall weiter fördert. Der Tötungsakt wird erstmalig im Lauf der Geschichte als medizinische Handlung bezeichnet: « l’ultime acte médical proprement dit de l’acte d’euthanasie ou de l’assistance au suicide“ heisst es auch ganz lapidar in der Begründung der parlamentarischen Gesundheitskommission zum 5. Abänderungsantrag zum Artikel 14 vom 5. November 2008. Und das gleiche gilt für die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung. Ein Arzt aber, der den Suizid vollstreckt, raubt geradezu die therapeutischen Optionen und der Psychiater, der – ganz im Gegensatz zur klassischen psychiatrischen Haltung – den Suizid für eine sinnvolle Alternative hält, wird zum Vollstrecker. Das Schweigen der Berufsgruppe der Psychiater unseres Landes zu diesem infamen Gesetz hat viele Menschen überrascht und erschreckt.

„Ein Verbrechen hört dadurch, dass es zum Gesetz erhoben wird, nicht auf, ein Verbrechen zu sein.“ (11) Oskar Loerkes Aussage gilt auch heute noch und hier. Und um ein dreifaches Verbrechen geht es in diesem Gesetz. Ein konkreter Mensch wird mit Duldung des Gesetzes von einem Arzt unter Missachtung aller bisher geltenden Leitbilder und Aufgaben der Solidar-Gemeinschaft und des ärztlichen Berufsstandes bewusst getötet.

Wenn das Gesetz zu Euthanasie und Beihilfe zur Selbsttötung demnächst im luxemburgischen Parlament gestimmt wird, dann sollten unsere Volksvertreter auch den Mut haben, ihre Absichten nicht mehr mit dem weissen Mantel der Medizin zu verklären. Mit der Einführung eines neuen Berufsstandes des para-medizinischen Tötungsbeauftragten wären die verschiedenen Aufgabenfelder hinreichend voneinander abgegrenzt und jeder könnte sich nach seiner eigenen Auffassung von Würde zu Tode bringen lassen, ganz ohne das Lügen-Märchen von der Euthanasie als notwendiger „medizinischen“ Ergänzung zu einer vermeintlich versagenden palliativen Medizin.

Ich will mit einem zweiten Zitat von Bertolt Brecht schliessen. „Der warme Wind bemüht sich noch um Zusammenhänge, der Katholik“, schreibt er – wohl ironisch – in seinem 1. Psalm. (12) Brecht hatte diese literarische Gebetsform der Israeliten sehr früh für sich wiederentdeckt und hält hierzu schon 1920 in seinem Tagebuch fest: „Ich muss noch einmal Psalmen schreiben. Das Reimen hält zu sehr auf. Man muss nicht alles zur Gitarre singen können“.(13) Die beschriebenen Zusammenhänge zu erkennen und sie zu berücksichtigen ist im übrigen die Aufgabe aller Menschen und nicht nur die der von Brecht hier erwähnten Katholiken.

*Neurologe und Psychotherapeut

Hôpital Saint Louis

Ettelbruck

Luxemburger Wort, 24. November 2008

Literatur:

 

1.Brecht Bertolt, Geschichten vom Herrn Keuner – Zürcher Fassung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004

 

2. Gawande A et al., Physicians and Execution —Highlights from a Discussion of Lethal Injection , New England Journal of Medicine,

2008 Jan 31;358(5):448-51.

 

3. Annas GJ,  Toxic tinkering–lethal-injection execution and the Constitution.New England Journal of Medicine, 2008 Oct 2;359(14):1512-8.

 

4. Borasio GD et al,  Einstellungen zur Patientenbetreuung in der letzten Lebensphase. Eine Umfrage bei neurologischen Chefärzten, Der Nervenarzt 2004, 75 (12) :1187-1193

 

5. Allensbacher Berichte , Einstellungen zur aktiven und passiven Sterbehilfe,  Umfrage 10023, Juli 2008, Nr. 14, 2008

 

6. Tillich Paul, Auf der Grenze, Stuttgart 1962, S.9

 

7. Glucksmann André, Typhons Schreckgespenst, Töte deinen Nächsten wie dich selbst, Rheinischer Merkur, 32/2008, 7.8.2008

 

8. Lossignol Dominique, Soins palliatifs : option ou obligation? Texte transmis par l’ADMD-Lëtzebuerg  pour information aux membres de la Chambre des Députés  le 30 septembre 2008. Texte publié en janvier 2000 sous le titre « Parfois, au nom de l’Humanité, le décès est la seule issue»

 

9. Leonetti Jean, Interview avec Denis Ledogar, La Croix, 30 octobre 2008

 

10. Lossignol Dominique, Euthanasie et techniques palliatives en fin de vie, Le Journal du réseau cancer de l’Université Libre de Bruxelles, numéro 8, 200788

 

11. Loerke Oskar, Tagebücher 1903-1939, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt

 

12. Brecht Bertolt, Der erste Psalm, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 11: Gedichte

 

13. Brecht Bertolt, Tagebuch-Notiz vom 31. August 1920, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter   Ausgabe.  Band 26 : Tagebücher  1913-1922″

 

 

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Grondsätzleches, Politik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert