Serie vun Artikelen vum Här Dr. Robert Thill-Heusbourg zum Thema Euthanasie: „Die Debatte um Euthanasie und Palliativmedizin verlangt als erste Tugend Aufmerksamkeit“

 

Die Debatte um Euthanasie und Palliativmedizin verlangt als erste Tugend Aufmerksamkeit

 

von Dr. Robert Thill-Heusbourg*

 

 

 

 

Leider gebraucht neuerdings  auch die CSV  das Unwort „Sterbehilfe“. In der öffentlichen Debatte in Luxemburg haben wir bisher (zurecht) hierfür den Ausdruck „Euthanasie“ verwendet. Auch dieses ist ein Unwort, da es durch die erste Bedeutung („guter Tod“) den heutigen Gebrauch („aktive Tötung“) verschleiert, hat aber den Vorteil, dass diese aktive Be-Deutung von den allermeisten Menschen heute unmittelbar auch so verstanden wird. Beim Wort „Sterbehilfe“ wird von vielen Menschen an „Hilfe beim und im Sterben“ gedacht, obwohl auch hier das Tatziel („Hilfe zum Sterben“) ein ganz anderes ist.  Ich habe mich deshalb öfters schon explizit dagegen verwahrt, dass eine (christlich orientierte)   Partei wie die CSV in ihren Änderungsanträgen das Euthanasie-Gesetz in  „proposition de loi sur l’aide à mourir“ umtaufen will, da hierdurch nur verschleiert wird, worum es geht: aktive Tötung eines anderen Menschen.

 

Nicht nur die CSV hatte die am 16. Februar 2008 drei Tage vor dem Parlamentsvotum vom Tageblatt veröffentlichte ILRES –Umfrage zur Euthanasie-Sterbehilfe (Stichwort: „78% der Luxemburger sind dafür“) wegen irreführender Fragestellung und demagogischer Zielsetzung zurecht kritisiert.

 

Im LW-Politmonitor vom 30. Juni werden aber dann neuerlich mit den veralteten und irreführenden Begriffen „aktive“ und „passive Sterbehilfe“ neue Umfragewerte zu diesem Thema veröffentlicht, welche die neue Strategie der CSV der „exception d’euthanasie/ euthanasie d’exception“ nachträglich rechtfertigen sollen . Stichwort: “68%  der Luxemburger sind dafür“. So als wollte man sagen: die Volkspartei steht ja nur an bzw auf der Seite des Volkes.

 

Schon in meinem ersten Kommentar zum Abstimmungsergebnis vom 19. Februar hatte ich in dieser Zeitung am 22. Februar geschrieben: „Die Grenzen unserer Sprache sind bekanntlich oft auch die Grenzen unserer Welt. Die Regierungspartei, die das christliche „C“ im Namen führt, hätte ein anderes Zeichen setzen müssen, auch wenn die Statistik im Parlament und im Volk eine andere Sprache sprechen. Eine solche Partei muss ihre Verantwortung anders wahrnehmen und dazu gehört auch der Charakter des „Prophetischen“ im Alltag der Politik und sie darf den Umgang mit dem menschlichen Leben nicht einfach einem Abstimmungsergebnis nachordnen.”

 

Der „Sündenfall“ der CSV besteht natürlich nicht aus ihrem Abstimmungsverhalten  am 19. Februar 2008; 23 zu 1 war ein gutes Ergebnis für eine freie Abstimmung. Prozentual gesehen –obwohl durch den Grössenunterschied verzerrt-  besser als die 2 zu 1 –Gewichtung in der adr-Fraktion oder die 3 Stimmenhaltungen in den Reihen der LSAP. Der schwerwiegende Fehler der CSV bestand im Vorfeld in der Regierungsentscheidung, welche diese  Abstimmung erst möglich machte, obwohl sie nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen war und also  wie die Themen „vollständige Liberalisierung der Abtreibung“, „Religionsunterricht in der Schule“, „Trennung von Kirche und Staat“ und andere mehr, die in letzter Zeit von LSAP/DP/Grünen schon einmal probeweise laut angedacht wurden, von der CSV-Leitung und grössten Regierungspartei leicht hätte verhindert werden können, wenn sie es denn hätte verhindern wollen. Möglicherweise aber hatte schon zu jenem Zeitpunkt das Nebel-Wort vom „ethischen Frieden“ die klare Sicht erschwert.

 

Die CSV hat es weiters auch nach dem 19. Februar unverständlicherweise verabsäumt (aus Gründen des Koalitionsfriedens?), einem parlamentarischen Antrag der adr zuzustimmen, dass das Gesetz über Palliativmedizin vorrangig zu behandeln sei und sofort in Kraft treten solle und dass bezüglich des Euthanasie-Gesetzes ein Moratorium eingehalten werden sollte.

 

Gäbe es nicht die offizielle Grundlinie der adr als kategorisches Nein gegen jegliche „Euthanasie-Gesetzgebung“, dann wären im luxemburgischen Parlament bei den nun zu erwartenden Abstimmungen im Herbst nur mehr Parteien vertreten, welche Euthanasie in irgendeiner Weise befürworten, auch wenn die Haltung der CSV mit der „exception d’euthanasie/euthanasie d’exception“ der (christlichen) Hoffnung und Verantwortung Ausdruck geben soll, ein schlechtes Gesetz durch ein weniger schlechtes Gesetz zu verhindern. Aber von einer solchen „Ausnahme-Euthanasie“ schrieb Ben Fayot schon vor Monaten auch im „Lëtzebuerger Land“ und meinte damit aber die Zielsetzung der grundsätzlich anders orientierten Version des Gesetzesvorschlags Err/Huss.

 

Dieses andernfalls im offiziellen luxemburgischen parlamentarischen Parteien-Spektrum fehlende kategorische Nein zur Euthanasie wäre ein noch schwererer ideeller Schaden für unser Land gewesen. Die betroffenen Stellungnahmen aus dem Ausland, und ich nenne hier nur den Kommentar der Deutschen Hospizstiftung vom 21. Februar 2008, das Rundschreiben des Vorsitzenden der Bezirksärztekammer Trier vom 10.03.2008 und zuletzt den Brief des Vorsitzenden der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care vom 28.5. 2008, bestätigen diese Einschätzung. Alle diese Stellungnahmen können auf www.euthanasie.lu eingesehen werden.

 

Die jetzige Argumentationslinie der CSV im Hinblick auf eine Schadensbegrenzung ist nur die zweite Wahl für diese grosse christliche Partei, welche eine erste Wahl einfach falsch getroffen hatte.

 

Dieses Vorgehen, Palliativ-Gesetz und Euthanasie-Gesetz gleichzeitig zur Abstimmung vorzubringen, ist auch unverständlich vom rein Prozeduralen her. Ein in diesen Fragen sehr gut informierter und differenziert denkender Mensch  -Arzt und aktives CSV-Mitglied-  hat mich vor einigen Monaten in einem persönlichen  Brief an die richtigen Fragen erinnert. Wie könne man in einer Zeit der ständigen Qualitätsmessungen in allen gesellschaftlichen Abläufen hier gegen medizinischen Rat eine Vorgehensweise wählen, die den Grundsätzen jeglicher Qualitätskontrolle in medizinischen Prozeduren widerspricht ? Hier wären zu allererst Qualitätsindikatoren zu benennen und Bedarf und Ergebnisse im Bereich der Sterbekultur und der Palliativmedizin in Luxemburg zu untersuchen und aufzuarbeiten gewesen. Erst im Anschluss an die Einsichtnahme, Veröffentlichung und Diskussion dieser Ergebnisse   hätte man  dann das Gesetz über Palliativmedizin in ausreichender Weise beurteilen und die Frage nach einer eventuellen Ergänzungsbedürftigkeit durch ein Euthanasie-Gesetz korrekt beantworten können. Obwohl eine solche –wissenschaftlich übliche- Vorgehensweise von der Regierung unseres Landes erstaunlicherweise bewusst nicht gewählt wurde, sei es trotzdem schwer vorstellbar, dass man die Entwicklung und den Ausbau der Palliativmedizin in der Praxis durch ein (Euthanasie-)Gesetz quasi überholt, welches die Palliativ-Medizin ohne vorangehende wissenschaftliche Abklärung in Frage stellt. (Zitat-Ende.)

 

In Abwandlung eines Gedankens von Chesterton würde ich sagen: „Die Menschen sind nicht der Palliativ-Medizin überdrüssig. Sie haben nie genug davon erfahren, um ihrer überdrüssig sein zu können.

 

Und gerade deshalb hier noch zuletzt einige Auszüge aus den im Juli in  „La Croix“ und „Le Monde“ veröffentlichten Gesprächen mit Dr. Jean Leonetti, welcher in Folge der Ereignisse um Chantal Sébire im Auftrag der französischen Regierung in den letzten Wochen eben eine solche Bestandsaufnahme in den französischen Krankenhäusern mit Anhörung vieler Experten im medizinischen und juristischen Bereich durchzuführen hatte.

 

Die Zeitschrift « La Croix » veröffentlicht ein Interview mit dem Abgeordneten Leonetti , «  qui  dresse un premier bilan des auditions de la mission de fin de vie dont il a été chargé ».
Jean Leonetti remarque notamment que « la loi est non seulement mal connue, mais mal appliquée. Les intervenants ont été unanimes à nous le dire. Certaines enquêtes montrent que seuls 20 % des médecins connaissent ce texte. Pire : certains pensent avoir fait des actes euthanasiques, alors qu’ils étaient dans la légalité, et vice versa ! ».

 

Jean Leonetti déclare en outre qu’« il ne doit plus être possible de débrancher et d’abandonner le malade à lui-même », puis note que l’idée d’« exception d’euthanasie » « a été très fragilisée par les auditions. […] Les juristes sont réticents à ce que l’on crée une catégorie d’exception pour un mobile ou une profession spécifique ». « Ce serait un montage [juridique] compliqué ! J’ai tendance à penser aujourd’hui que «l’exception d’euthanasie» est une fausse bonne idée », poursuit le député.

 

In « Le Monde » liest es sich so :

 

« Que retirez-vous des auditions de médecins, juristes, philosophes et patients que vous avez menées depuis avril ?

 

La loi sur la fin de vie est encore très mal connue, même dans le milieu médical. Elle a été parfois mal comprise, dévoyée, voire détournée. Le fait que beaucoup de gens continuent à mourir en souffrant à l’hôpital, alors que la loi autorise le double effet, c’est-à-dire le fait de calmer quelqu’un même si cela entraîne la mort, est scandaleux. Je considère que dans l’affaire Pierra, du nom de ce jeune homme plongé en état végétatif qui a convulsé atrocement après avoir été débranché, on est dans une situation de „laisser crever“. Dans la loi, on parlait de „laisser mourir“, par opposition au faire mourir. A aucun moment, on a pensé que cela conduirait à un abandon.

 

Si la médecine décide d’arrêter les traitements, parce qu’elle estime qu’il n’y a plus rien à faire, il faut qu’elle aille jusqu’au bout de sa démarche et accompagne jusqu’à l’endormissement. Nous pouvons éviter les longues agonies pénibles, offertes en spectacle à des proches désemparés. Le médecin doit préserver la dignité du mourant : la sédation terminale n’est pas inscrite dans la loi ou le règlement, mais s’il faut l’écrire, on le fera.

 

Qu’en est-il de l’idée de créer une exception d’euthanasie, autorisée par un comité d’experts, pour les malades incurables qui réclament la mort ?

 

L’idée est séduisante, mais elle se heurte à plusieurs obstacles juridiques. De quel droit, des experts, placés au-dessus des citoyens, pourraient dire si une personne peut mourir ou non ? Et s’ils refusent, devant quelle instance faire appel ? Quant à instaurer une exception d’euthanasie a posteriori, pour les personnes qui auraient tué un proche par compassion, par exemple, les juristes y sont très réticents. Il nous paraît préférable de laisser aux juges l’opportunité de traiter ces affaires. Quitte à les aider dans leur réflexion, dans un dialogue avec des experts, pour que certaines affaires n’aillent pas jusqu’en cour d’assises. »

 

Warum können wir uns hier in Luxemburg nicht dieses dem Anliegen viel besser entsprechende nachdenklichere, aufmerksamere und behutsamere Vorgehen zum Vorbild nehmen? Und jenen, die voreilig sagen, dass es uns in Luxemburg an Persönlichkeiten wie Jean Leonetti fehle, denen antworte ich, dass es  diese Persönlichkeiten auch bei uns nicht nur in der Einzahl gibt und dass sie sich seit Monaten in diesem Land unüberhörbar und mit grosser Differenzierungskraft nicht nur in dieser Zeitung öffentlich zu Wort melden. Was uns in Luxemburg hingegegen wirklich fehlt, sind Politiker von Format, welche den Mut haben, ihnen zuzuhören und ihren Erkenntnissen Gestaltungskraft im politischen Raum zuzugestehen.

 

 

*Neurologe und Psychotherapeut

Hôpital Saint Louis

Ettelbruck

 

 

Luxemburger Wort, 13.September 2008

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